Rückblick: Arch+Ing-Normenpaket

Die Normenumfrage der Länderkammer war das Thema des Jahres 2009. Warum erfolgte eine derartige Initiative durch die Kammer?

Umfang und Anzahl der Normen steigen stetig. Durch die Harmonisierung der bautechnischen Vorschriften (OIB-Richtlinien) haben viele Normen de facto Gesetzescharakter erhalten und repräsentieren den Stand der Technik. Wenn nun einzelne Normen nicht eingehalten werden, erhöht sich – auch angesichts der allgemein steigenden Klagebereitschaft im Bauwesen – für Ziviltechniker das Risiko bei der Ausübung ihres Berufs. Normen stellen also für unsere Mitglieder eine wesentliche Voraussetzung der Berufsausübung dar; sie sind zweifelsohne ein Instrument zur Qualitätssicherung. Insbesondere für kleinere Bürostrukturen wird es zunehmend schwer, immer über den aktuellen Stand aller relevanten Normen zu verfügen.

DI Erich Kern, der von der Bundeskammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten 2008 zum Normenkoordinator bestellt wurde, erhielt den Auftrag, Verhandlungen mit dem Austrian Standards Institute (Österreichisches Normungsinstitut) aufzunehmen, um für Kammermitglieder einen wirtschaftlicheren Zugang zu Normen zu ermöglichen. Erich Kern strebte eine generelle Lösung an. Preisnachlässe auf bestimmte Normengruppen, befristete Aktionen und dergleichen hätten das Problem vielleicht gemindert, jedoch keine dauerhafte Lösung dargestellt. Das vom Kollegen Kern ausgearbeitete Modell sah vor, dass alle Mitglieder für einen Pauschalbetrag Zugang zu den für sie relevanten Normen erhalten. Nachdem derartige Lösungen nur bei großer Beteiligung möglich sind, wurde das Projekt gemeinsam mit der Landesinnung Bau Wien verfolgt. Da sich die Bundeskammer von dem Projekt des einheitlichen Normenzugangs für alle Mitglieder zurückzog, führte Kollege Kern die Verhandlungen mit dem Austrian Standards Institute im Auftrag der LAIK weiter.                                   

Zwischenergebnis

Ende April 2009 wurden erstmals alle Mitglieder mit aufrechter Befugnis über den Stand der Verhandlungen informiert und eingeladen, über den Normenbezug abzustimmen, um dem Vorstand eine Entscheidungshilfe in dieser Thematik zu geben. Der damalige Stand der Vereinbarung mit dem Austrian Standards Institute sah vor, dass alle Mitglieder mit aufrechter Befugnis Zugang zu einem „Grundpaket“ ihrer Wahl erhalten.

Das Ergebnis der ersten Umfrage

47,5 Prozent der Mitglieder mit aufrechter Befugnis beteiligten sich an der Umfrage. 67,4 Prozent der Umfrageteilnehmer stimmten für das Normenpaket. Dies war ein klarer Auftrag für den Kammervorstand, das Projekt weiterzuverfolgen, die Verhandlungen mit dem Austrian Standards Institute fortzuführen sowie die wesentlichen Themenschwerpunkte, wie u. a. die Prüfung der rechtlichen Umsetzung, die Definition der Normenpakete, die Erarbeitung eines Finanzierungskonzepts und den Entwurf eines Vertragstextes bis zur Sitzung des Kammervorstands im September 2009 im Detail zu behandeln.

Flexible, individuelle Normenwahl anstelle fixer Normenpakete

Zum Zeitpunkt der Mitgliederbefragung waren im angedachten Modell befugnisabhängige Basisnormenpakete vorgesehen. Kollege Erich Kern hatte bei der Erstellung dieser Pakete zahlreiche Kontakte mit Mitgliedern verschiedenster Befugnisse. Dabei wurde schnell klar, dass fixe Normenpakete nie eine vollständige Abdeckung der individuellen Bedürfnisse garantieren können. Die aktuelle Lösung sieht daher vor, dass für 240,– EUR pro Jahr (inkl. USt.) alle Mitglieder mit aufrechter Befugnis Zugang zu 200 frei wählbaren Normen erhalten und somit ihr individuelles Normenportfolio zusammenstellen können. Es stehen jedem Mitglied 200 Normen in zehn Jahren zur Verfügung (aus ÖNORMEN – ÖNORM, ÖNORM EN, ÖNORM ISO –, ON-Regeln und deren Entwürfen). Der Bezug einer Norm wird im Portfolio dokumentiert und berechtigt auch zum automatischen Update bei der Herausgabe von Nachfolgedokumenten. Bei Ruhendlegung der Befugnis erlischt auch die Zugangsberechtigung, der jährliche Pauschalbetrag ist dann ebenfalls nicht mehr zu entrichten. Wird später wieder eine aufrechte Befugnis angemeldet, so wird das ehemalige Portfolio weitergeführt.

Der Vertrag mit der Austrian Standards plus GmbH

Zu den wichtigsten Vertragspunkten siehe Arch+Ing-Normenpaket.

Abstimmung in der Kammervollversammlung                             

Bei der Kammervollversammlung am 25. November 2009 wurden alle anwesenden Mitglieder gebeten, über den Vertragsabschluss mit der Austrian Standards plus GmbH mit Ja oder Nein abzustimmen.                                                

Die Zuständigkeit der Kammervollversammlung zur Beschlussfassung war in zweifacher Hinsicht gegeben und zwingend vorgesehen: Einerseits hat sie gemäß Finanzhaushaltsordnung das Eingehen längerfristiger Verbindlichkeiten, die 500.000,– EUR übersteigen, zu beschließen, daher auch den Abschluss des Vertrages mit der Austrian Standards plus GmbH. Andererseits obliegt der Kammervollversammlung aufgrund des Ziviltechnikerkammergesetzes die Beschlussfassung über den Umlagenbeschluss, durch den allen Mitgliedern im Rahmen der Kammerumlage auch ein entsprechender Anteil für den Bezug des Normenpakets vorgeschrieben wird.

Das Ergebnis der Abstimmung

  • 198 Mitglieder nahmen an der Abstimmung teil, davon waren 2 Stimmen ungültig.
  • Von den gültigen Stimmen entfielen 157 (80,1 %) auf „Ja“, 39 (19,9 %) auf „Nein“.

Gibt es Alternativen?

Von vielen Mitgliedern wird gefordert, den absolut freien Normenzugang zu ermöglichen, zumindest zu denjenigen Normen, auf die in Gesetzen verwiesen wird. Ein wirklich freier Zugang ist jedoch auf absehbare Zukunft nicht realistisch, denn grundsätzlich gilt, dass nach dem Normengesetz ÖNORMEN Urheberrechtsschutz genießen. Es stellt sich die Frage, ob der Urheberrechtsschutz auch für diejenigen Normen gilt, auf die in Gesetzen verwiesen wird. Dazu hat der VfGH 1996 festgestellt, dass eine Norm nur dann aus dem Urheberrechtsschutz fällt, wenn diese durch die Verbindlicherklärung und die Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt zum Bestandteil der betreffenden Rechtsnorm wird. Dies traf bisher allerdings nur auf einige wenige von mehr als 20.000 (!) Normen zu.

Zudem ist ein freier Normenzugang auch deswegen nicht in Sicht, weil die Kostenpflicht den europäischen (ISO-)Rahmenbedingungen entspricht.

Weitere Perspektiven und Handlungsbedarf

Der Normenzugang stellt einen ersten großen Schritt dar, den Mitgliedern die Ausübung ihres Berufs zu erleichtern und zugleich das Bewusstsein für die Qualitätssicherung zu verstärken. Ausgehend von diesem Impuls sind weitere Aufgabenfelder erkennbar, wie die Mitarbeit an der Normenentwicklung. Derzeit sind wir als Betroffene und Verantwortungsträger am Bau in den Normungsgremien nicht ausreichend vertreten und können daher nicht aktiv an der Entwicklung neuer Normen mitwirken. Dabei beeinflussen die Normen nicht nur unsere tägliche Arbeit, sondern legen auch Teile unserer Geschäftsgrundlage fest – und das nicht nur zu unserem Vorteil. Das nächste Ziel muss also sein, mehr Mitbestimmung bei der Entwicklung neuer Normen zu erreichen und die Anliegen des Berufsstandes in den entsprechenden Gremien einzubringen und durchzusetzen. Denn nur wer mitbestimmt, kann das Ergebnis beeinflussen.