Missverständnis Wettbewerbe und Stellung von Bauherren der öffentlichen Hand

Entgegnung zum Interview in Falter 38/16, Seite 18ff., vergrößern per Klick

Entgegnung der Kammer in Falter 40/16, Seite 2, Vergrößerung per Klick

Topthema "Architekturwettbewerb": überwältigendes Medienecho und aktueller Stand der Diskussion

Die Klarstellung der Kammer (siehe unten) über die Wertigkeit und Wichtigkeit von Architekturwettbewerben im Zusammenhang mit dem Interview der Wiener Stadträtin Mag. Ulli Sima im "Falter" sorgte und sorgt in den Medien für überwältigende Resonanz. Wir sind mit unserem Thema laufend auf der meistbesuchten Nachrichtenwebsite Österreichs, auf orf.at, zu finden. Es gibt TV-, Radio- und Internetbeiträge in den ORF-Medien, eine Puls-4-TV-Story, Berichte in den Tageszeitungen "Standard", "Presse", "Kurier", "Kronen Zeitung", "Heute", "Wiener Zeitung", "Kleine Zeitung", im Wochenblatt "Falter" sowie in unzähligen Onlinemedien. Die entsprechenden tagesaktuellen Links finden Sie im Medienanhang. Unser jüngst eingerichteter Facebook-Account Arch+Ing wird gestürmt und es gibt jede Menge Tweets zu diesem Thema.

Das Problem ist aus Sicht der Kammer nicht, dass sich jemand ein Gebäude wünscht, das wie eine Mülltonne aussieht, sondern die falsche Einstellung zum Thema Vergabe mit öffentlichen Geldern. Zusätzlich zum "Falter"-Interview erklärte Stadträtin Mag. Ulli Sima via Austria Presse Agentur (APA), nicht umgesetzt worden sei ein Gebäude für die MA 48, weil von allen eingereichten Projekten nur eines der Themenvorgabe entsprochen hatte, sich die Jury aber entgegen dem Auftraggeber für ein anderes Projekt entschieden habe. Es sei nicht die Frage gewesen, ob das Projekt dem Auftraggeber gefällt, sondern es habe nicht den Ausschreibungskriterien entsprochen."Es ist wohl der Normalfall, dass so etwas dann nicht umgesetzt wird", sagte die Stadträtin. "Gegen den Auftraggeber etwas zu beschließen ist auch nicht die feine englische Art."

Die Kammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten für Wien, Niederösterreich und Burgenland hält fest:

  1. In der angesprochenen Ausschreibung ist keine einzige Anforderung definiert, der das Siegerprojekt widerspricht. Die Anforderung “Die Gebäudeform soll ein Symbol für die Wiener Abfallwirtschaft darstellen und in der Formensprache an einen Abfallkübel erinnern” wurde von den Wettbewerbsteilnehmenden in unterschiedlicher Form aufgegriffen. Das Siegerprojekt schafft das laut Juryprotokoll in Form einer “Containeragglomeration”.
  2. Das Juryprotokoll begründet die einstimmige Prämierung als Siegerprojekt damit, „dass eine signifikantere Symbolik als bei den anderen Projekten geschaffen wird". Die Behauptung, das Siegerprojekt hätte nicht “der Themenvorgabe entsprochen”, ist somit nachweislich falsch.
  3. Das Projekt wurde mit den Stimmen aller Jurymitglieder, also auch der Vertreter der Stadt Wien, prämiert. Die Behauptung, dies sei gegen den Willen der Stadt Wien als Bauherr geschehen, ist somit ebenfalls nachweislich falsch.

Wien.orf.at zitiert Sima am 6. Oktober 2016 mit: "Andere Vergabeformen, etwa eine Direktvergabe oder ein kooperatives Verfahren, könnten daher oft die bessere Option sein." Ein gewichtiger Satz, der zwei grobe Fehler enthält.

  1. Kooperative Verfahren zählen nicht zu den Verfahren des Bundesvergabegesetzes, sondern kommen vor allem als Instrument der Ordnungsplanung zum Einsatz (Rahmen für Flächenwidmung).
  2. Direktvergaben sind nur bis zu einem geschätzten Auftragswert von € 100.000 zulässig und somit für die hier verhandelten Fälle irrelevant.

Bei aller Kritik an den Aussagen von Stadträtin Mag. Ulli Sima ist es uns wichtig, darauf hinzuweisen, dass es in der Stadt Wien durchaus Personen gibt, denen der Wert von Architekturwettbewerben für die Baukultur der Stadt bewusst ist und die sich dafür einsetzen. Nur deshalb konnte es gelingen, bei Schulumbauten und Schulerweiterungsbau mit einer neu designten Verfahrensart qualitätsvolle Baukultur sicherzustellen (Pilotprojekt Spielmanngasse 3, 1220 Wien). Bisher wurden aufgrund des extremen Zeitdrucks in den meisten Fällen Totalunternehmer beauftragt, die für die gesamte Abwicklung der Projekte zuständig waren. Durch das nun vereinbarte "verkürzte Wettbewerbsverfahren", das den freien Zugang aller fachlich befugten Planerinnen und Planer sicherstellt, ist garantiert, dass das beste Projekt für die jeweilige Aufgabe bei größtmöglicher Transparenz gefunden werden kann.

 

Stellungnahme der Kammer am 22. September 2016. Entgegnung zum Interview in Falter 38/16, S.18ff von Stadträtin Mag. Ulli Sima:

Bei den Äußerungen zu Architekturwettbewerben der Wiener Stadträtin für Umwelt und Wiener Stadtwerke, Mag.a Ulli Sima (siehe Interview links), geht es leider nicht nur um standespolitische Befindlichkeiten - das wäre für eine der lebenswertesten Städte der Welt noch einfach verkraftbar. Die geäußerte Haltung der Stadträtin steht in diametralem Widerspruch zur Linie der für Architektur und Stadtgestaltung zuständigen Magistratsabteilung 19.

Anscheinend sind Stadträtin Sima weder die "Wiener Architekturdeklaration", in der 2005 die grundsätzliche Haltung der Stadt Wien zu Fragen der Architektur und Stadtplanung festgeschrieben wurde, noch die darauf fußenden "baukulturellen Leitsätze für Wien", die 2013 von der Stadt Wien im Rahmen eines breit angelegten Prozesses erarbeitet wurden, ein Begriff. Uns verwundert das insofern, als darin festgehalten ist: "Der Gemeinderat fordert den Magistrat der Stadt Wien und die Betriebe in ihrem Einflussbereich auf, die Leitsätze als Handlungsmaxime anzuwenden." Stadträtin Sima fühlt sich offensichtlich nicht angesprochen. Die zentralen Aussagen der baukulturellen Leitsätze, wie "die Weiterentwicklung der hohen Qualität in Umsetzung und Planung sowie die Vorbildwirkung der Stadt Wien gegenüber privaten Investorinnen und Investoren" sind auf der Seite "Baukultur" der Stadt Wien nachzulesen.

Gut, die Agenden der Architektur und der Stadtplanung fallen nicht unbedingt in den engeren Wirkungsbereich von Stadträtin Sima, das Maß an Ahnungslosigkeit ist für solch eine Position allerdings irritierend. Wenn man meint, ein Architekturwettbewerb verteuere die Baukosten und sei langwierig, hat man die Bedeutung guter und qualitätsvoller Planung für die Kosten im Baugeschehen und die Einhaltung von Bauzeiten schlicht nicht verstanden. Dabei gibt es genügend Anschauungsmaterial, leider auch in dieser Stadt, an dem sich die Folgen einer derartigen Haltung ablesen lassen.

Die Meinung, Architekturwettbewerbe seien dazu da, möglichst viele Architekten "zum Zug kommen zu lassen", ist ein grundsätzlicher Irrtum. Im Architekturwettbewerb kommt nur eine Architektin oder ein Architekt "zum Zug", alle anderen Teilnehmerinnen und Teilnehmer stellen ihre Arbeit unentgeltlich zur Verfügung. So gesehen beraubt die Stadträtin jene, die die Bauten zu zahlen haben, nämlich uns Steuerzahler und Steuerzahlerinnen, eines riesigen Potentials an Qualität.

Drastischer ist das Missverständnis von Wettbewerben und der Stellung von Bauherren der öffentlichen Hand in ihnen wohl selten zum Ausdruck gekommen: "Ich hatte das Erlebnis eines Wettbewerbs, wo wir als Bauherr von der Jury überstimmt wurden. Und das geht mir dann doch zu weit." Das, was Stadträtin Sima als Zumutung empfindet, ist geradezu das Wesen des Wettbewerbs im Sinne des Bundesvergabegesetzes (weil sie nicht ihr eigenes Geld, sondern das von uns allen ausgibt): Dem öffentlichen Bauherrn ist es eben gar nicht erlaubt, den Auftragnehmer einfach direkt selbst zu bestimmen, sondern er muss das objektiv beste Projekt wählen! Und dies kann nur eine Jury beurteilen, in der Fachleute entscheiden. Deshalb haben alle Mitglieder einer Jury ihre Tätigkeit ausdrücklich unabhängig wahrzunehmen, ein "Überstimmen des Bauherrn" kann es so gesehen gar nicht geben. Willkommen im Rechtsstaat!

Wenn es nicht so traurig wäre, müsste man über die Reaktion auf die Unverschämtheit einer unabhängigen Entscheidung lachen: "Wir haben das Projekt dann halt einfach nicht umgesetzt." Eine typisch wienerische Lösung? Hoffentlich nicht.

Das Präsidium:

Präsident DI Peter Bauer 

Vizepräsident Architekt DI Bernhard Sommer       

Sektionsvorsitzender Architekten Architekt DI Christoph Mayrhofer 

Sektionsvorsitzende Ingenieurkonsulenten DI Michaela Ragossnig-Angst, MSc. (OU)

Stv. Sektionsvorsitzende Architekten Architektin DI Christine Horner

Stv. Sektionsvorsitzender Ingenieurkonsulenten DI Erich Kern


Link zu ORF-Fernsehbeitrag "Wien heute" und Onlinebericht 23.10.2016

Link zur Presseaussendung der Kammer 22.9.2016

Link orf.at 12.10.2016

Link Wirtschaftsblatt 12.10.2016

Link krone.at 12.10.2016

Link heute.at 12.10.2016

Link Kleine Zeitung 12.10.2016

Link Die Presse 12.10.2016