Normen

Wozu wir Normen brauchen

„Den wenigsten Leuten ist bewusst, dass die Welt ohne diese internationalen Übereinkünfte augenblicklich auseinanderfiele“, schrieb Reto U. Schneider kurz und bündig im „NZZ Folio“ 2005 zum Thema Normen.

Das klingt nach dem Katastrophenszenario aus einem Science-Fiction-Film. Aber Tatsache ist, dass das Leben ohne Übereinkünfte, was in einem bestimmten Bereich „Standard“ ist, um einiges beschwerlicher ablaufen würde. Passt die Palette auf den Gabelstapler, der Stecker in die Steckdose, der Deckel auf den Topf oder der Brief in das Kuvert? Ist die Banane gerade genug? Was einmal für gut befunden und geprüft wurde, soll von möglichst vielen Menschen genützt werden und als Basis für Weiterentwicklungen dienen. Nicht jede Berufsgruppe benötigt auch nur annähernd so viele Normen wie der Baubereich.

Es gibt verschiedene „Arten“ von Normen, die generell bekannte ÖNORM, die vielleicht weniger bekannte ON-Regel, europäische (diese tragen das Kürzel EN) sowie internationale Normen (ISO-Normen) und noch viele mehr, wie z. B. ÖVE im Bereich der Elektrotechnik. Auch wenn rund drei Viertel aller neuen Normen mittlerweile europäisch sind, gibt es nach wie vor nationale Normungsarbeiten, um länderspezifische Bedürfnisse zu erfüllen.

Österreich ist Vorreiter und stellt mit Jahreswechsel 2009 als erstes Land der EU komplett auf Eurocodes um. Die Anwendung der Eurocodes ist die Grundlage für die Erarbeitung eines harmonisierten Gesamtregelwerks für die Berechnung und Ausführung von Bauwerken. Unterschiede zwischen den europaweit bestehenden nationalen Berechnungsverfahren und Ausführungsregeln werden dadurch weitgehend beseitigt. Die Normung reagiert auf Trends, neue Techniken und Verfahren und ist sozusagen ein Radargerät für zukünftige Erfolgsthemen.

In den vergangenen Jahren wurden im Österreichischen Normungsinstitut neue Komitees ins Leben gerufen, die aktuell erarbeiteten Papiere sollen Unternehmen in Risiko- und Sicherheitsmanagement, Corporate Social Responsibility, Personalentwicklung oder Konformitätsbewertung unterstützen. 256 Gremien arbeiten in Österreich für die Sicherheit von Jung und Alt zu den unterschiedlichsten Themen, und jährlich entscheiden sich in Österreich etwa 300 Personen neu zur Mitarbeit an der Normung. Das bedeutet für sie zwar Mehraufwand und Verantwortung, bringt jedoch entscheidende strategische und wirtschaftliche Vorteile; vor allem die, mitreden zu können und rechtzeitig zu wissen, wohin die Entwicklung einer Branche geht. Die Gefahr, dass gerade große Unternehmen mit massiven Eigeninteressen das Geld und das Interesse haben, ihre Leute in Gremien zu setzen, liegt auf der Hand. Prinzipiell werden Normen von denjenigen erstellt, die sie benötigen – Experten aus Wirtschaft, Verwaltung, Wissenschaft und Konsumentenschutz –, und immer nur, wenn sie Bedarf danach haben.

  • 20.000 Normen

Im Jänner 2008 veröffentlichte das Österreichische Normungsinstitut (ON) das 20.000. Normdokument. 1978 gab es nur 1.000 Normen, 1992 dann 5.000, kurz vor der Jahrtausendwende bereits 10.000 Normen. Seither haben sie sich verdoppelt, eine beeindruckende Zahl. Und es wird nicht dabei bleiben, denn es kommen kontinuierlich weitere dazu.

  • Ein kurzer Rückblick

Weil ein deutscher Ingenieur sich ärgerte, dass Drucksorten nicht zusammenpassten, erfand er ein Format, das ab 1922 die Welt eroberte: DIN A4. Apropos Papier: ein paar Rechenspielereien. Die bisher erschienenen 20.000 Normen benötigen bis auf ein paar Seiten genau 500.000 Blatt Papier der Größe DIN A4. Normales Druckerpapier hat 80 g/m². Ein Blatt Papier der Größe A4 mit der Abmessung 210 × 297 mm hat 1/16 der Fläche eines A0-Bogens und wiegt daher 5 g.

  • Alle Normen zusammen

würden 2,5 Tonnen wiegen. Wenn 1.000 Blatt Papier eine Höhe von 102 mm haben, ergäbe das einen Stapel von 51 Metern. Mittlerweile sind alle Normen digital erhältlich. Diese dürfen allerdings nicht kopiert, müssen also de facto käuflich erworben werden. Universitäten haben Sondervereinbarungen und bekommen die nötigen Normen selektiert zur Verfügung gestellt.

(Aus: „derPlan“, September 2008, Seite 7)

 

Den „Plan“ Nr. 12“ zum Spezialthema „Normen“ finden Sie als PDF auch auf unserer Website unter wien.arching.at/index.php

Weitere Links: Austrian Standards Institute (früher: Österreichisches Normungsinstitut: www.austrian-standards.at